Forschung

Höre ich den Satz: ‚Ach, das geht nicht‘,
denke ich: ‚Na, schauen wir mal.‘

Prof. Roland Pomberger erforscht mit seinem Team an der Uni Leoben Potenziale in der Abfallverwertungstechnik. Wir befragten ihn zu den Trends in der Abfallwirtschaft.

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Herr Professor Pomberger, was halten Sie vom Begriff „Zero Waste“?

Ich finde den Begriff gut. Aber man sollte ihn in den richtigen Kontext stellen, denn zu glauben, dass es irgendwann einmal keinen Abfall mehr gibt, ist eine Illusion. Ich definiere „Zero Waste“ als „keine Verschwendung, sondern etwas Sinnvolles damit tun“. Wenn wir also unter Zero Waste verstehen, dass kein Abfall mehr in die Deponierung oder Beseitigung geht, sondern aller Abfall verwertet wird, ist dies ein erstrebenswertes Ziel. Wenn wir diese Auslegung verwenden, ist es gut.

Abfall ist aus Ihrer Sicht also unvermeidlich?

In der Tat. Für mich gelten in der Abfallwirtschaft drei Hauptsätze. Der erste lautet „Jedes Produkt wird Abfall. Wann ist nur eine Frage der Zeit.“ Wer in der Abfallwirtschaft arbeitet muss sich also keine Sorgen machen. Er hat einen sehr krisensicheren Job. Der zweite Hauptsatz lautet: „Alles, was im Abfall drin sein kann, ist auch wirklich drin.“ Bei jeder Sortierung kannst man sicher sein, dass irgendwann etwas darin ist, was dort nicht hineingehört. Darauf muss man vorbereitet sein. Und der dritte Hauptsatz lautet: „Abfall geht den Weg des geringsten Geldes.“

Es gibt immer abfallwirtschaftliche Themen, die für Unternehmen aus der Wirtschaft interessant sind, und die wir seitens der Forschung unterstützen können.

Prof. Roland Pomberger

Zwei Treiber der Abfallwirtschaft

Meinen Sie mit dem letzten Hauptsatz, dass Recycling ohne Quote nicht geht?

Nun, es gibt in der Abfallwirtschaft zwei Treiber: Den Umweltschutz und den Rohstoffwert. Letzteren reguliert der Marktpreis. Für Goldabfälle braucht niemand eine Recyclingquote. Das gilt auch für Schrott. Eine Quote ist immer dann notwendig, wenn es eben nicht von allein geht und daher ein Mindeststandard vorgegeben werden muss. Das heißt für die Zukunft: 65 % der Siedlungsabfälle müssen recycelt werden. Wenn es diese Vorgabe nicht gibt, wird es auch nicht passieren. Bei den meisten Abfällen – und das ist eine wirklich traurige Erkenntnis – deckt der Rohstoffwert nicht die gesamten Kosten, die vor und hinter dem Aufbereitungsprozess stehen. Sammlung, Sortierung, Recycling haben einen Nutzen, aber ökonomisch deckten sie oft den Aufwand nicht. Wir sollten es trotzdem tun, weil der Umweltnutzen für die Gesellschaft von hohem Wert ist und daher notwendig. Er ist schwer monetarisierbar. Deshalb brauchen wir Regulierungen wie Steuern, Vorgaben, Quoten, Pfandsysteme. Aber von allein würde das nicht funktionieren.

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Stichwort „Pfandsystem“: Was halten Sie von folgender Hypothese: „Die moderne Aufbereitungstechnologie ist so gut, dass das Modell einer getrennten Abfallsammlung überholt ist“?

Das ist Wunschdenken. So funktioniert die Trennung von Gemischtabfall nicht. Zuallererst: Die Materialen bleiben ja im Abfall nicht so, wie man sie hineingetan hat. Sie beeinflussen sich. Nehmen wir als Beispiel die Plastikfolie im Bioabfall, der vor sich hin gärt. Sie wird auf jeden Fall dreckig und eventuell sogar molekular beeinflusst. Das, was ich in den Gemischtabfall hineingeworfen habe, ist nicht das, was ich später wieder heraushole. Zweitens: Wenn vorab eine getrennte Sammlung statt-gefunden hat, erhält jemand, der eine Anlage betreibt, mehr Output von höherer Reinheit. Die Erklärung ist ganz einfach: Eine Anlage ist ein einstufiges Verfahren. Bei getrennter Sammlung vorab erhalte ich ein zweistufiges Verfahren. Wir haben vorsortierte Fraktionen, die noch einmal sortiert werden. Das ist natürlich besser. Menschen, die ein Stück Abfall in die Hand nehmen und entscheiden, wo sie es hineinwerfen, erledigen für uns den hochwertigsten Sortierprozess, den wir haben.

Mehr Ersatzbrennstoffe

Wo bleibt hier die energetische Verwertung? Wird durch Recycling der Ersatzbrennstoff knapp?

Wissen Sie, ich höre oft: „Wir recyceln in Zukunft, da brauchen die Verbrennung irgendwann nicht mehr“. Das ist falsch. Ja, die klassische Müllverbrennung, die ungetrennte Abfälle direkt aus der Sammlung in den Ofen bringt, wird sicherlich weniger werden. Aber die industrielle Verwertung – wenn also aufbereitete Materialien als Brennstoff eingesetzt werden und fossile Energieträger ersetzen – wird sich sogar ausweiten. Thermische Verwertung und Recycling sind keine Gegensätze. Im Gegenteil: Mehr Recycling führt zu mehr Ersatzbrennstoffen, die in der industriellen Verbrennung landen. Recycling und die hochwertige thermische industrielle Verwertung bilden eine Symbiose. In Österreich werden zum Beispiel 80 % des Energiebedarfs der Zementindustrie durch aufbereitete Abfälle abgedeckt. Es macht durchaus Sinn, fossile Brennstoffe durch Abfälle zu substituieren.

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Für Goldabfälle braucht niemand eine Recyclingquote.

Prof. Roland Pomberger

Wo sehen Sie weiteres ökonomisches Potenzial für die Abfallwirtschaft?

Die Steuerung in und um Anlagen herum, bietet viel Optimierungspotenzial. Das größte liegt für mich im „Sensorbased Sorting“ und der Frage: Wie integriere ich automatische Sortierer in bestehende Anlagen oder überhaupt in Anlagen und nutze sie dort? Damit ist das „Sensorbased Monitoring“ verbunden. Anlagenbetreiber sollten mehr darüber wissen, was in ihren Anlagen passiert. Zum Beispiel, ob die Bandbelegung richtig ist, denn die Maschinen stellen sich ja nicht selbst auf das Material ein, sondern werden von außen eingestellt. Studien haben ergeben, dass viele Sortieranlagen nur 30 Prozent ihrer Zeit im optimalen Bereich arbeiten.

Den Rest über fahren sie entweder leer, mit zu viel oder mit zu wenig Material. Allein durch das Vergleichmäßigen des Materialflusses könnte hier sehr viel mehr erreicht werden. In einem Projekt haben wir z. B. die Leistung einer mobilen Anlage gemessen und den Betreiber informiert, dass er – wenn er an dieser oder jener Stelle nachjustiert – bis zu zehn Prozent mehr Leistung aus der Anlage herausholen und Qualitäten verbessern kann.

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Das, was ich in den Gemischtabfall hineingeworfen habe, ist nicht das, was ich später wieder heraushole.

Prof. Roland Pomberger

Werfen wir einen Blick über die Grenzen Europas hinaus: Wo sehen Sie die größten Herausforderungen in Schwellenländern auf dem Weg zu einer geregelten Abfallwirtschaft?

Nun, jedes Land hat seine besonderen Herausforderungen. Man muss eine dem Land angepasste Abfallwirtschaft entwickeln. Dabei dürfen wir aus meiner Sicht einen Fehler nicht machen: Abfallwirtschaft auf rein technologische Fragen reduzieren. So einfach ist es nicht. Abfall ist auch ein Wohlstandsthema. Man muss sich hochwertige Abfallwirtschaft leisten können. Daher müssen wir uns immer anschauen wieviel Geld in einem Land für abfallwirtschaftliche Aufgaben zur Verfügung steht. Bei uns in Österreich sind es 200 Euro pro Einwohner und Jahr, in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch, sind es 2 Euro. Wenn nicht viel Geld zur Verfügung steht, kann man nicht viel machen. Aber in Schwellenländern können in ländlichen Regionen kleine mobile Anlagen ein guter Anfang sein, um eine dezentrale Abfallwirtschaft zu entwickeln. Da sehe ich eine Chance und einen großen Bedarf.

Wie beurteilen Sie diese Aussage: „Es macht keinen Sinn, den Weg von einer nicht entwickelten Abfallwirtschaft zu einer gut etablierten in einem Schritt gehen zu wollen“?

Diese Aussage unterstütze ich voll und ganz und viele Beispiele belegen sie. Man muss Schritt für Schritt vorgehen. Von jetzt auf gleich eine hochautomatisierte Kunststoffsortieranlage in einem Land aufzustellen, das noch nicht einmal eine anständige Deponie hat, funktioniert nicht. Man kann nicht kopieren und sagen: „Das funktioniert bei uns, also funktioniert es auch bei euch!“.