Opportunity: Frau Professor Huber-Humer, Sie erwähnten eingangs die kreislauforientierte Abfallwirtschaft. Europa ist dabei, seine Hausaufgaben zu machen, auch wenn vieles noch auf den Weg gebracht werden muss. Doch wie können dafür auch in weniger wohlhabenden Ländern passende Lösungen gefunden werden?
Professorin Marion Huber-Humer: Eine interdisziplinäre Forschung und die internationale Zusammenarbeit unterschiedlichster Stakeholder sind aus meiner Sicht die Schlüsselfaktoren, um die globale Abfallwirtschaft in Richtung Kreislaufwirtschaft voranzubringen. An unserem Institut bearbeiten wir diese Fragestellungen indem wir Materialflüsse und Prozesse systematisch betrachten. Dabei versuchen wir immer, den gesamten Lebenszyklus mitzudenken und zu bewerten.
Auch hierbei folgen wir wieder den abfallwirtschaftlichen Prämissen von der Vermeidung, über die Sammlung und Verwertung bis hin zu einer möglichst emissionsarmen und umweltneutralen Entsorgung. Daraus können für Länder, in denen weniger Geld für die Abfallwirtschaft zur Verfügung steht, angepasste Vorgehensweisen und Technologien sowie diesbezüglich optimierte System konzipiert werden. Man startet für ein Land oft mit kleineren überschaubaren Projekten, um erste Erfahrungen zu sammeln. Diese Pilotprojekte lassen sich schrittweise hochskalieren. Wichtig ist, in jedem Land die bereits vorhanden lokalen Strukturen zu erkennen und frühzeitig miteinzubeziehen. Das können aktive, engagierte Personen vor Ort sein – der sogenannte informelle Sektor, der sich schon um die Sammlung und Verwertung gewisser Abfallströme annimmt. Oder es können bestehende formelle Organisationen und Bildungseinrichtungen bis hin zu Universitäten sein, die abfallwirtschaftliche Ausbildungen und Trainingsprogramme anbieten.
Opportunity: Können Sie uns ein Beispiel nennen?
Professorin Marion Huber-Humer: Gern sogar mehrere, denn wir haben in den vergangenen Jahren viele, ganz unterschiedliche Projekte durchgeführt. Dabei stellten wir immer wieder fest: Wissenstransfer und Training sind wesentliche Aspekte. Ein gutes Beispiel ist ein Tempus-Projekt, gefördert von der OeAD, der österreichischen Agentur für Bildung und Internationalisierung. Dort haben wir gemeinsam mit Studierenden sowie Kolleginnen und Kollegen der Technischen Universität Dresden und Universitäten aus der Ukraine und Weißrussland abfallwirtschaftliche Studienprogramme entwickelt. In diesem Zuge entstanden in der Zusammenarbeit mit Studierendengruppen und lokalen Stakeholdern regionale Abfallwirtschaftspläne.
In einem anderen Projekt arbeiteten wir mit Partnern in Äthiopien zusammen, um in einem Stadtteil der Hauptstadt Addis Abeba die getrennte Sammlung von organischen Abfällen zu realisieren. Diese Abfälle wurden anschließend in einer dezentralen Anlage kompostiert und als Endprodukt entstand ein lokal verfügbares Düngemittel. Derzeit beteiligen wir uns an mehreren Projekten zum Umgang mit Elektro-Altgeräten in der Karibik und in Laos. Die Insellage der kleinen karibischen Länder ist z. B. eine spezifische regionale Herausforderung. Weitere Projektbeispiele der vergangenen Jahre sind Schiffrecycling und der Umgang mit gefährlichen Abfallarten in China sowie die Behandlung von Kunststoffabfällen in Vietnam. Hinsichtlich der Modernisierung des Managementsystems für Siedlungsabfällen waren wir in Kasachstan und in Russland aktiv. Dort ging es vor allem um das Monitoring von Deponien sowie Maßnahmen und Technologien zur Emissions-Minimierung.
Opportunity: In vielen Ländern ist gemischter Hausmüll mengenmäßig die größte Fraktion. Kann deren mechanisch-biologische Aufbereitung ein Beitrag zu einer nachhaltigen Abfallwirtschaft sein?
Professorin Marion Huber-Humer: Ja, auf jeden Fall. Wir haben in vielen der gerade genannten Auslandsprojekte die Erfahrung gemacht, dass eine rasche Umsetzung möglichst einfacher und robuster Technologien die Umweltsituation bereits deutlich verbessert. Die mechanisch-biologische Behandlung von Siedlungsabfällen eignet sich zielführend für wirtschaftlich schwache Länder als „low-tech“ Maßnahme. Sie fungiert dort quasi als Brückentechnologie, so wie dies auch in Österreich vor zwanzig, dreißig Jahren der Fall war. Damals gab es hier noch nicht genug thermische Behandlungskapazitäten.
In der mechanischen Stufe können recyclingfähige Wertstoffe wie Metalle oder thermisch nutzbare Fraktionen gewonnen werden. Sie eignen sich gegebenenfalls als Ersatz für Primärenergieträger in Industriebetrieben der Region. Doch der große Benefit für die Umwelt liegt vor allem in der deutlichen Reduzierung treibhausrelevanter Methanemissionen: Wird gemischter Hausmüll vor der Deponierung mechanisch-biologisch aufbereitet, stabilisiert sich die verbleibende Abfallorganik und ist nicht mehr so leicht abbaubar. Landet dieses stabilisierte Material unverdichtet auf einer Deponie, fördert es zusätzlich den Prozess der biologischen Methanoxidation. Das heißt: Methan, das in den tieferliegenden Deponiebereichen mit unvorbehandelten Abfällen entsteht und emittiert, kann durch methanoxidierende Mikroorganismen abgebaut werden. Diese Organismen siedeln sich bevorzugt in dem vorbehandelten Material an und verwandeln das Methan in Wasser und Kohlendioxid. Und Kohlendioxid ist im Vergleich zu Methan wesentlich weniger treibhauswirksam. Das Ergebnis ist somit ein mehrfacher Gewinn für die Umwelt in Ländern, in denen derzeit aufgrund oft fehlender rechtlicher und schwacher institutioneller wie wirtschaftlicher Rahmenbedingungen die weitgehend unkontrollierte Deponierung immer noch der vorrangige Abfallbehandlungsweg ist.