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Bereit für neue Herausforderungen

Am Institut für Abfall- und Kreislaufwirtschaft – kurz ABF-BOKU – lehrt und forscht ein motiviertes Team unter Leitung von Professorin Marion Huber-Humer an innovativen Konzepten und Verfahren für eine nachhaltige Abfall- und Kreislaufwirtschaft.

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Klimawandel, Ressourcenknappheit, Ernährungssicherheit: Die Fragen der Zukunft brauchen Antworten. Mit mehr als 10.000 Studierenden ist die Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) eine wichtige Ausbildungsstätte, die das nötige Rüstzeug für die Bearbeitung der vielfältigen Aufgaben und der künftigen globalen Herausforderungen vermittelt.

 

Opportunity: Frau Professor Huber-Humer, wo liegen die Kompetenzen Ihres Instituts?

 

Professorin Marion  Huber-Humer: Entsprechend der EU-Abfallrichtlinie haben die Gebiete Abfallvermeidung und Wiederverwendung höchste Priorität. Sie sind wichtige Forschungsschwerpunkte an unserem Institut. Dabei konzentrieren wir uns besonders auf die Frage: Wie können wir die Verschwendung von Lebensmitteln reduzieren? Das ist eines unserer Herzensthemen. Die kreislauforientierte Abfallwirtschaft ist ein weiterer bedeutender Arbeitsbereich. Hier beschäftigen wir uns mit der Analyse und Optimierung von Sammelsystemen und Verwertungsoptionen. Außerdem ist die Deponierung nach wie vor ein unverzichtbares Element der Abfallwirtschaft. Daher beteiligen wir uns an der Erforschung und Entwicklung von Technologien für eine emissionsarme, umweltgerechte Ablagerung von Rückständen und Reststoffen und deren Monitoring. Wir messen mit innovativen Methoden und entwickeln sie weiter. Um ein Beispiel zu nennen: Mit open-path Laser-Messgeräten und Ausbreitungsmodellierung forschen wir zur Quantifizierung treibhausrelevanter Methanemissionen aus Abfallbehandlungsanlagen und Deponien.

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Opportunity: Bleiben wir kurz beim Thema Lebensmittel: Aktuelle Krisen führen zu einer Unterbrechung von Lieferketten, stark ansteigende Preise tun ein Übriges, um Lebensmittel wieder in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Hat das Thema Verschwendung wirklich Relevanz?

 

Professorin Marion  Huber-Humer: Die Auswirkungen dieser Verschwendung auf das Klima und die Natur sind enorm und außerdem unnötig. Wissen Sie, Lebensmittelabfälle sind bereits seit annähernd zwanzig Jahren ein wichtiger Forschungsbereich an unserem Institut und unsere Ergebnisse zeigen, dass wir besonders für Privathaushalte Lösungen brauchen. Auf Haushaltsebene werden deutlich mehr Lebensmittel verschwendet werden als auf allen anderen Stufen der Wertschöpfungskette. Daher sehen wir unsere Aufgabe vor allem im Aufzeigen von Lösungen – neben der Methodenentwicklung und einer umfassenden Datenerhebung. Wir erstellen ganz konkrete Handlungsanleitungen für die Produktion, den Handel sowie für Verbraucher:innen. Wobei für Letztere die Sensibilisierung eine besondere Rolle spielt. Daher arbeiten wir auch intensiv mit Schulen zusammen sowie mit Ausbildungsstätten im Tourismusbereich und beteiligen uns an diversen praxisrelevanten Projekten.

“In Österreich landen pro Jahr rund eine Million Tonnen genießbare Lebensmittel im Müll. Ich glaube, diese Zahl ist den wenigsten bewusst.”

Mario Huber-Humer

Opportunity: Vielen Dank, Frau Professor Huber-Humer. Um daran anzuschließen eine Frage an ihren Mitarbeiter Diplomingenieur Erwin Binner. Herr Binner, selbst bei verantwortungsbewusstem Handeln entstehen Lebensmittelreste. Sie können als Bioabfall einer Nachnutzung zugeführt werden, z. B. durch Kompostierung. Sie haben maßgeblich dazu beigetragen, dass die österreichische Kompostwirtschaft heute einen sehr guten Ruf hat. Wo liegen für Sie die Eckpunkte der letzten Jahre?

 

Erwin Binner: Wie in vielen anderen Ländern auch, begann man in Österreich vor einigen Jahrzehnten mit der Müllkompostierung. Doch sehr schnell wurde klar, dass Müllkomposte hohe Schadstoffgehalte aufweisen können. Deshalb definierte man in den späten achtziger Jahren mit der ÖNORM S2022 erstmals Gütekriterien für Müllkomposte. Parallel dazu entstanden Normen zu Untersuchungsmethoden und Anwendungsrichtlinien. Um die Qualität der Komposte weiter zu verbessern, wurden Versuche zur getrennten Sammlung von Bioabfällen aus Haushalten durchgeführt. Das war z. B. in Klosterneuburg, Graz und Wien der Fall.

 

Den ersten großen Fortschritt brachte dann 1992 die Verordnung zur „Getrennten Sammlung biogener Abfälle“. Sie machte ab 1995 die Abfalltrennung verpflichtend. Fast gleichzeitig, im Jahr 1993, wurde die Ö-NORM S2200 fertiggestellt, die „Gütekriterien für Komposte aus biogenen Abfällen“ festlegte. Zusammen mit Begleitnormen definierte sie deutlich strengere Grenzwerte als ihre Vorgängerin, die ÖNORM S2022.

 

Die österreichische Kompostverordnung im Jahr 2001 war ein nächster Meilenstein: Als erstes Land in Europa hatte Österreich damit eine „Abfallendeverordnung“. Wird Kompost nach dieser Verordnung hergestellt, verliert er mit der Deklaration seine Abfalleigenschaft und hat Produktstatus! Untersuchungsparameter der S2200 und Untersuchungsmethoden der S2023 wurden in der Verordnung weitgehend übernommen, die Grenzwerte – wo erforderlich – entsprechend angepasst. Seither erzeugen wir in Österreich Kompostprodukte der Qualitätsklasse A+ für die Anwendung in der biologischen Landwirtschaft und der Qualitätsklasse A für die Anwendung in der konventionellen Landwirtschaft. Wir vom ABF-BOKU haben diese Prozesse wissenschaftlich begleitet. Vor allem wurden hier Methoden entwickelt, um die Güte und positiven Eigenschaften von Komposten abzubilden. Dazu gehören z. B. die Reife bzw. Stabilität der organischen Kompostsubstanz. Außerdem entstand hier ein Modell, mit dem der Huminstoffgehalt von Komposten festgestellt werden kann. Der Huminstoffgehalt ist ein wichtiges Qualitätsmerkmal für Komposte und wird hier basierend auf einer Infrarotspektroskopie-Methode gemessen. Ein hochaktuelles Forschungsgebiet ist für uns auch die Mikroplastik-Verunreinigung in Komposten.

“Die biogenen Abfälle sind eine bedeutende Fraktion, um die Recyclingziele des Kreislaufwirtschaftsgesetzes zu erfüllen.”

Erwin Binner

Opportunity: In der Tat ein drängendes Thema. Welche Probleme sind hier zu lösen?

 

Erwin Binner: Restmüllanalysen zeigen, dass trotz Bioabfallverordnung – die in Österreich seit 1995 die getrennte Sammlung biogener Abfälle vorschreibt – beträchtliche Mengen verwertbarer Bioabfälle in der Restmülltonne landen. Es muss unser Ziel sein, diese zukünftig für die Verwertung zu generieren. Dazu gehören auch begleitende Maßnahmen, um die Qualität der gesammelten biogenen Abfälle verbessern.

 

Viele Kompostanlagenbetreiber klagen über hohe Störstoffgehalte in den angelieferten Bioabfällen. Sie müssen die Störstoffe entfernen und das treibt ihre Kosten in die Höhe. Um ihre Situation zu verbessern, brauchen wir Maßnahmen, die beim Sammelsystem ansetzen. Denkbar ist, Verbraucher:innen durch Öffentlichkeitsarbeit zum strikten Trennen zu animieren, oder einen Störstoffscanner einzusetzen oder vielleicht auch eine Art „rote Karte“ zu verteilen, wenn sich jemand nicht an die Vorgaben hält. Dem trägt unter anderem die „Kompostverordnung NEU“ Rechnung, deren Entwurf demnächst zu erwarten ist. In der Verordnung sollen erstmals Störstoffgrenzwerte im angelieferten Abfall definiert werden. Diskutiert werden zwei Masseprozent bezogen auf die Feuchtmasse. Bis zu einem Störstoffgehalt von fünf Masseprozent soll der Anlagenbetreiber Sammelware annehmen dürfen, wenn durch technische Maßnahmen im Vorfeld sichergestellt wird, dass das Rotte-Eingangsmaterial den Zwei-Prozent-Wert unterschreitet.

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Opportunity: Sie sind gerade von einem Kongress aus Lima zurückgekommen. Vor welchen Herausforderungen in der Abfallwirtschaft stehen Schwellenländer wie Peru? Ist eine Übertragung unserer Erfahrungen möglich?

 

Erwin Binner: Die BOKU hat bereits 1990 ein Partnerschaftsabkommen mit der Universidad Nacional Agraria La Molina abgeschlossen. Diese landwirtschaftliche Universität hat ähnliche Forschungsbereiche wie die BOKU. Gemeinsam entwickelten wir Ausbildungsprogramme, Seminare und Kongresse. Im Frühjahr fand z. B. ein internationaler Kompostkurs statt und vor wenigen Wochen das Seminar „Vermeidung, Recycling, Behandlung und Deponierung von Abfällen“. Dort tauschten sich 190 Teilnehmer:innen aus Süd- und Mittelamerika sowie Mexico über ihre Forschungsergebnisse aus.

 

Derartige Veranstaltungen und den offenen Gedankenaustausch halte ich für extrem wichtig. Nur so können die Verantwortlichen die Vor- und Nachteile des Vorgehens in Europa beurteilen, angepasste Techniken für das eigene Land entwickeln und vor allem auch von unseren Fehlern lernen. Die gute Nachricht lautet: Erste Erfolge sind zu erkennen. So stieg in den letzten Jahren die Zahl von sogenannten „sanitary landfills“ in Peru. Das sind Deponien, die einen gewissen technischen Standard und eine entsprechende Barrierewirkung aufweisen. Emissionen entweichen damit nicht wie bisher völlig unkontrolliert. Die Kompostierung wurde als wesentlich für die Landwirtschaft sowie für die Abfallwirtschaft erkannt. Viele Gemeinden und landwirtschaftliche Betriebe unterhalten – ähnlich kleinstrukturiert wie in Österreich – Kompostierungsanlagen. Vereinzelt gibt es bereits Ansätze zur getrennten Sammlung von Recyclingfraktionen und biogenen Abfällen.

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Opportunity: Frau Professor Huber-Humer, Sie erwähnten eingangs die kreislauforientierte Abfallwirtschaft. Europa ist dabei, seine Hausaufgaben zu machen, auch wenn vieles noch auf den Weg gebracht werden muss. Doch wie können dafür auch in weniger wohlhabenden Ländern passende Lösungen gefunden werden?

 

Professorin Marion  Huber-Humer: Eine interdisziplinäre Forschung und die internationale Zusammenarbeit unterschiedlichster Stakeholder sind aus meiner Sicht die Schlüsselfaktoren, um die globale Abfallwirtschaft in Richtung Kreislaufwirtschaft voranzubringen. An unserem Institut bearbeiten wir diese Fragestellungen indem wir Materialflüsse und Prozesse systematisch betrachten. Dabei versuchen wir immer, den gesamten Lebenszyklus mitzudenken und zu bewerten.

 

Auch hierbei folgen wir wieder den abfallwirtschaftlichen Prämissen von der Vermeidung, über die Sammlung und Verwertung bis hin zu einer möglichst emissionsarmen und umweltneutralen Entsorgung. Daraus können für Länder, in denen weniger Geld für die Abfallwirtschaft zur Verfügung steht, angepasste Vorgehensweisen und Technologien sowie diesbezüglich optimierte System konzipiert werden. Man startet für ein Land oft mit kleineren überschaubaren Projekten, um erste Erfahrungen zu sammeln. Diese Pilotprojekte lassen sich schrittweise hochskalieren. Wichtig ist, in jedem Land die bereits vorhanden lokalen Strukturen zu erkennen und frühzeitig miteinzubeziehen. Das können aktive, engagierte Personen vor Ort sein – der sogenannte informelle Sektor, der sich schon um die Sammlung und Verwertung gewisser Abfallströme annimmt. Oder es können bestehende formelle Organisationen und Bildungseinrichtungen bis hin zu Universitäten sein, die abfallwirtschaftliche Ausbildungen und Trainingsprogramme anbieten.

 

Opportunity: Können Sie uns ein Beispiel nennen?

Professorin Marion  Huber-Humer: Gern sogar mehrere, denn wir haben in den vergangenen Jahren viele, ganz unterschiedliche Projekte durchgeführt. Dabei stellten wir immer wieder fest: Wissenstransfer und Training sind wesentliche Aspekte. Ein gutes Beispiel ist ein Tempus-Projekt, gefördert von der OeAD, der österreichischen Agentur für Bildung und Internationalisierung. Dort haben wir gemeinsam mit Studierenden sowie Kolleginnen und Kollegen der Technischen Universität Dresden und Universitäten aus der Ukraine und Weißrussland abfallwirtschaftliche Studienprogramme entwickelt. In diesem Zuge entstanden in der Zusammenarbeit mit Studierendengruppen und lokalen Stakeholdern regionale Abfallwirtschaftspläne.

 

In einem anderen Projekt arbeiteten wir mit Partnern in Äthiopien zusammen, um in einem Stadtteil der Hauptstadt Addis Abeba die getrennte Sammlung von organischen Abfällen zu realisieren. Diese Abfälle wurden anschließend in einer dezentralen Anlage kompostiert und als Endprodukt entstand ein lokal verfügbares Düngemittel. Derzeit beteiligen wir uns an mehreren Projekten zum Umgang mit Elektro-Altgeräten in der Karibik und in Laos. Die Insellage der kleinen karibischen Länder ist z. B. eine spezifische regionale Herausforderung. Weitere Projektbeispiele der vergangenen Jahre sind Schiffrecycling und der Umgang mit gefährlichen Abfallarten in China sowie die Behandlung von Kunststoffabfällen in Vietnam. Hinsichtlich der Modernisierung des Managementsystems für Siedlungsabfällen waren wir in Kasachstan und in Russland aktiv. Dort ging es vor allem um das Monitoring von Deponien sowie Maßnahmen und Technologien zur Emissions-Minimierung.

Opportunity: In vielen Ländern ist gemischter Hausmüll mengenmäßig die größte Fraktion. Kann deren mechanisch-biologische Aufbereitung ein Beitrag zu einer nachhaltigen Abfallwirtschaft sein?

Professorin Marion  Huber-Humer: Ja, auf jeden Fall. Wir haben in vielen der gerade genannten Auslandsprojekte die Erfahrung gemacht, dass eine rasche Umsetzung möglichst einfacher und robuster Technologien die Umweltsituation bereits deutlich verbessert. Die mechanisch-biologische Behandlung von Siedlungsabfällen eignet sich zielführend für wirtschaftlich schwache Länder als „low-tech“ Maßnahme. Sie fungiert dort quasi als Brückentechnologie, so wie dies auch in Österreich vor zwanzig, dreißig Jahren der Fall war. Damals gab es hier noch nicht genug thermische Behandlungskapazitäten.

 

In der mechanischen Stufe können recyclingfähige Wertstoffe wie Metalle oder thermisch nutzbare Fraktionen gewonnen werden. Sie eignen sich gegebenenfalls als Ersatz für Primärenergieträger in Industriebetrieben der Region. Doch der große Benefit für die Umwelt liegt vor allem in der deutlichen Reduzierung treibhausrelevanter Methanemissionen: Wird gemischter Hausmüll vor der Deponierung mechanisch-biologisch aufbereitet, stabilisiert sich die verbleibende Abfallorganik und ist nicht mehr so leicht abbaubar. Landet dieses stabilisierte Material unverdichtet auf einer Deponie, fördert es zusätzlich den Prozess der biologischen Methanoxidation. Das heißt: Methan, das in den tieferliegenden Deponiebereichen mit unvorbehandelten Abfällen entsteht und emittiert, kann durch methanoxidierende Mikroorganismen abgebaut werden. Diese Organismen siedeln sich bevorzugt in dem vorbehandelten Material an und verwandeln das Methan in Wasser und Kohlendioxid. Und Kohlendioxid ist im Vergleich zu Methan wesentlich weniger treibhauswirksam. Das Ergebnis ist somit ein mehrfacher Gewinn für die Umwelt in Ländern, in denen derzeit aufgrund oft fehlender rechtlicher und schwacher institutioneller wie wirtschaftlicher Rahmenbedingungen die weitgehend unkontrollierte Deponierung immer noch der vorrangige Abfallbehandlungsweg ist.